Interview

Spezialisten/-innen für Arbeitsmarktintegration erzählen aus ihrem Alltag mit über 50-jährigen Stellensuchenden

Unsere Arbeitsmarktintegrations-Spezialisten/-innen beraten und begleiten Stellensuchende auf dem Weg zurück in den Arbeitsmarkt. In diesem Interview erzählen sie aus ihrem Alltag und von ihren Erfahrungen mit Stellensuchenden 50 plus.


Ein Mann, gut qualifiziert, mit vielfältiger Arbeitserfahrung. Er wirkt fit, ausser seinem Alter gibt es scheinbar keinen Grund, weshalb er keine Stelle finden sollte. Rasch merkt die Coach, dass er in jedes Vorstellungsgespräch mit der Haltung hineingeht: «Die wollen mich eh nicht.» Als sie mit ihm an diesem Thema arbeiten will, zeigt sich, dass ein schweres Schicksal aus seinem persönlichen Umfeld auf ihm lastet.

Ein Stellenverlust bedeutet einen starken Einschnitt im Leben – speziell für Personen, die lange Jahre einer Aufgabe nachgegangen sind, die ihnen Wertschätzung gebracht hat. Die anstehende Neuorientierung braucht Zeit. Sie gelingt besser mit einem Coaching durch einen professionellen Guide, der die richtigen Fragen stellt und so einen tief greifenden Prozess anstossen und begleiten kann.

Folgenden Arbeitsmarktintegrations-Spezialisten/-innen haben wir ein paar Fragen gestellt:

  • Silvia Zimmer, zuständig für PrimaJob (Soziale Dienste)
  • Caroline Fest, zuständig für Stellennetz (RAV)
  • Thomas Scherrer, zuständig für Stellennetz (RAV)

1. Trefft ihr in eurem Arbeitsalltag häufig auf Stellensuchende 50 plus?

Thomas: Ich habe jeden Tag mit Personen zu tun, die über 50 sind. Meiner Meinung nach ist das aber nichts Neues – das Thema der 50 plus wurde in den letzten Jahren einfach öfter in den Medien aufgegriffen.

Caroline: Ich empfinde schon, dass es eine Zunahme gab. Fast jede Woche sind 1–2 Anmeldungen vom RAV dabei.

Silvia: Ich betreue die Klienten aus der Sozialhilfe, in diesem Bereich sind sie nicht häufiger anzutreffen als andere Altersgruppen.

2. Wo setzt ihr in eurer Beratungstätigkeit an bei den Ü-50-Jährigen?

Thomas: Systemisch bei allem, was relevant ist für die Stellenfitness und wo es Verbesserungspotenzial gibt. Ich beziehe dabei alle Aspekte der aktuellen Lebenssituation mit ein, wie Gesundheit, Finanzen und Familie.

Caroline: Bei den über 50-Jährigen ist es besonders wichtig, ihnen Wertschätzung durch aktives Zuhören entgegenzubringen. Ich habe den Eindruck, dass ein Stellenverlust für Menschen ab einem gewissen Alter besonders schwer verkraftbar ist. Für manche ist es traumatisch, wenn sie nach 20, 30 Jahren die Kündigung erhalten – kurz vor der Pensionierung. Meist sind sie schon längere Zeit auf Stellensuche und erhalten Absage um Absage. Ihre Enttäuschung ist gross und der Glaube, dass sie noch eine Stelle finden, gering. Sehr oft höre ich Sätze wie «Mich will sowieso niemand», und immer wieder fliessen auch Tränen. Dann hilft es, die Ressourcen des angesammelten Wissens und Könnens zu thematisieren und für sie greifbar zu machen.

3. Unterscheidet sich das Vorgehen bei älteren Stellensuchenden von jenem bei den jüngeren?

Silvia: Bei den Jüngeren geht es eher darum, eine neue Ausbildung zu beginnen und/oder eine laufende abzuschliessen. Bei den Älteren gilt es, die Erfahrungen herauszuschälen und Ideen für eine entsprechende nächste Arbeitsstelle zu entwickeln.

Thomas: Nicht prinzipiell, nein. Sicher muss bei älteren Stellensuchenden die Fitness am PC gut abgeklärt werden. Zudem raten wir ihnen, ihre Vorstellungsgespräche mit einem anderen Fokus anzugehen, ihre Bewerbungen kreativer zu schreiben und ihre Lebensläufe auf ihre Ressourcen und ihre Erfahrung auszurichten.

Workshops

4. Gibt es besondere Bildungsmodule, die ihr älteren Stellensuchenden empfehlt?

Caroline: Für dieses Alter empfehle ich oft die Workshops Stärken und Sichtweise ändern. Dort lernen ältere Stellensuchende, wie sie sich kreativ bewerben mit einem Fokus auf ihren eigenen Stärken. Diese Workshops werden von den Teilnehmenden sehr geschätzt – sie geben ihnen die Möglichkeit und genügend Zeit, sich mit ihren eigenen Ressourcen auseinanderzusetzen.

Silvia: Manchmal empfehle ich auch den Kontakt zu Menschen, die mit unkonventionellen Bewerbungsstrategien erfolgreich waren. Sie können Stellensuchenden zeigen, wie man mit mehr Selbstbewusstsein weiterkommt – und die Beispiele machen Mut, einen weiteren Versuch zu wagen.

5. Teilweise vermittelt ihr selbst die Teilnehmenden an Firmen. Wie überzeugt ihr ein Unternehmen, jemandem eine Chance zu geben, der oder die vielleicht nicht ganz überall fit ist?

Thomas: Meiner Meinung nach sind die Erfahrungen, die Stellensuchende über 50 mitbringen, eigentlich unbezahlbar. Sie verfügen meist über ein sehr hohes Berufsethos und eine gute Arbeitsmoral. Oft sind sie auch gut ausgebildet, können den Ernst ihrer Lage einschätzen und sind darum auch bereit, Lohneinbussen einzugehen. 

Silvia: Wenn es heisst, sie seien überqualifiziert, können wir uns als Aussenstehende meist gut einklicken und ein Unternehmen davon überzeugen, dem oder der Stellensuchenden eine Chance zu geben.

Caroline: Auch bei einer Neuorientierung, wenn also keine Berufserfahrung vorhanden ist, haben wir unser Netzwerk und Partnerfirmen, die wir beispielsweise für Praktikumsplätze anfragen können.

6. Gibt es vielleicht eine kurze Erfolgsgeschichte, die ihr mit uns teilen möchtet?

Silvia: Einer meiner Klienten erhielt aufgrund seines Alters eine Absage. Nach kurzer Zeit hat sich die Firma bei ihm wieder gemeldet und ihm eine Anstellung angeboten – der Jüngere, dem sie den Vorzug gegeben hatten, war offenbar unzuverlässig.

Thomas: Ich hatte vor Kurzem eine über 50-jährige Frau, die im Büro keinen Job mehr fand. Sie machte einen Quereinstieg in die Pflege, und offenbar ist das ihre Berufung. Im Anschluss an das Praktikum hat sie gleich eine Festanstellung in einem Altersheim gefunden.