Julia: Ist in deinen Arbeitsalltag wieder Normalität eingekehrt?
Bettina: Nein, noch nicht. In meinem Beratungszimmer steht auf dem Tisch eine Plexiglasscheibe, wir beachten die Hygiene- und Verhaltensregeln, ich lüfte den Raum und desinfiziere nach jedem Gespräch die Flächen im Zimmer. Allerdings hat sich die Arbeit mit den Versicherten nicht gross verändert. Das liegt auch an der IV, die alles mitgetragen hat – wir pflegen eine gute Zusammenarbeit mit ihr.
Anders als in anderen Programmen konnten die IV-Versicherten weiter zu uns ins Lernwerk kommen. Die IV hat gemeinsam mit uns abgeklärt, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit die Programme weitergeführt werden können. Wie andere Firmen mussten wir anfangs natürlich ziemlich zirkeln, viel abklären und Prozesse anpassen. Entsprechend braucht es eine gute Organisation mit den verfügbaren Plätzen. In diesem Sinn ist es zwar nicht wie vorher, aber mittlerweile hat sich alles gut eingespielt.
Wie wichtig war es, dass ihr die Programme fortsetzen konntet?
Sehr wichtig. Ich hörte immer wieder von den Teilnehmenden, wie entscheidend es ist, im Alltag Stabilität zu finden. Dass sie an einem Ort zur Arbeit gehen konnten und die Beratungen weiterhin stattfanden. Dass sie einen Rhythmus hatten oder die Struktur im Arbeitsalltag weiterführen konnten. Auch die IV schätzte es, dass die Programme des Lernwerks fortgesetzt werden konnten.
Programmteilnehmende von der IV haben oft etwas Schweres erlebt, einen Schicksalsschlag. Ins Lernwerk zu kommen, ist für sie wie ein Schritt zurück ins Leben, weil sie hier in eine Struktur kommen können. Die Arbeit ist für sie wie ein Anker.
Trotz allem: Ich habe von vielen IV-Teilnehmenden auch die Rückmeldung erhalten, sie fühlten sich trotz der Ausnahmesituation wohl. Mit Krisen umgehen müssen – darin sind sie Expertinnen und Experten. Viele Personen in der Schweiz wurden von der Ungewissheit kalt erwischt und mussten sich erst zurechtfinden. Einige unserer Teilnehmenden haben uns gesagt, für sie sei es nichts Ungewöhnliches, nicht zu wissen, was in drei Monaten sein wird.
Wie sieht die Situation bei den Teilnehmenden in den externen Arbeitseinsätzen aus?
Ich betreue auch Personen im Job-Coaching. Da arbeite ich mit Teilnehmenden, die im ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Eine junge Frau musste ins Homeoffice, weil ihr Betrieb während des Shutdowns geschlossen war. Für sie war es eine schwierige Zeit. Wir haben dann gemeinsam erarbeitet, was es braucht, damit sie mit der Situation umgehen kann.
Ich habe der Teilnehmerin im Homeoffice angeboten, dass sie regelmässig zu den Gesprächen ins Lernwerk kommen kann. Das hat sie angenommen, wir haben die Gespräche hier geführt und in den Sitzungen gemeinsam geplant, was sie zuhause machen kann. Und nach den Lockerungen haben wir abgeklärt, ob sie zwischendurch auch an einem anderen Ort arbeiten kann, nicht nur im Homeoffice.
Hat dich etwas positiv überrascht im Frühjahr?
Wir haben eine Person im Programm, die seit einiger Zeit am Empfang bei uns im Lernwerk arbeitet. Während der Coronazeit war es ausserordentlich wichtig, dass der Empfang professionell geführt wird. Die Programmteilnehmerin bekam Gelegenheit, Verantwortung zu übernehmen, und ihre Arbeit wurde sehr geschätzt. Das war für sie ein wichtiger Teil auf ihrem Weg in den ersten Arbeitsmarkt.
Durch diese Arbeit hat die Teilnehmerin einen tieferen Einblick ins Lernwerk und unsere Strukturen erhalten. Es gab ein Zugehörigkeitsgefühl, denn sie war voll involviert und hat uns professionell unterstützt. Sie hat die Telefon-Triage super erledigt.
Du hast von diesem Zugehörigkeitsgefühl gesprochen. War das während des Shutdowns noch wichtiger als sonst?
Ja, vielleicht schon. Den Menschen wurde allgemein bewusst, wie wertvoll es ist, wenn man Arbeit hat. Sie ist ein zentraler Aspekt in unserer Gesellschaft, ein Grundbedürfnis. Arbeiten zu können, hat etwas mit Zugehörigkeit zu tun, bei der Gesellschaft dabei zu sein. Deshalb sind die Programme, die wir hier im Lernwerk anbieten, so wertvoll – für die Teilnehmenden und die Gesellschaft.
Was für Tipps hast du allgemein, um mit einer Ausnahmesituation wie dem Shutdown umzugehen?
Homeoffice konnte sich ja nun etablieren. Dabei ist es aber unerlässlich, sich eine Struktur zu schaffen. Es ist wichtig, ehrlich mit sich selbst zu sein und herauszufinden: Was funktioniert für mich, wie und wo kann ich am besten arbeiten? Dann kann man sich ein entsprechendes Umfeld schaffen.
Vielleicht hilft es einigen, auswärts zu arbeiten, in einer Bibliothek oder einem Café – sofern das möglich ist. Man kann sich mit Freunden oder Kolleginnen zum Lunch verabreden. Und ganz wichtig: aufstehen und sich anziehen, als ob man zur Arbeit gehen würde. Das hat einen Effekt, der nicht zu unterschätzen ist.
Julia Gründisch arbeitet als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW Winterthur und absolviert dort auch den Master in Organisationskommunikation. Sie schreibt regelmässig für den Verein Lernwerk. |